Das Jungfraujoch mit dem Aletschgletscher in der Schweiz ist eine beeindruckende Kulisse und Weltnaturerbe. Doch wer es gerade im Winter sehen will, muss einiges auf sich nehmen.

Entweder rund 100 € für die Zahnradbahn durch die Eigernordwand, inklusive fast garantierter Kopfschmerzen, oder den beschwerlichen Aufstieg von der Rückseite. Da Oli und ich uns vorgenommen hatten nur aus eigener Kraft unterwegs zu sein, kam die Bahn für uns nicht in frage. Um zu Fuß auf das Plateau des Aletschgletschers zu kommen gibt es zwei Möglichkeiten, nämlich über zwei verschiedene Gletscher einmal den Aletschgletscher selber (der längste Gletscher der Alpen), den wir auch schon im Sommer gesehen hatten. Da dieser aber gerade im unteren Teil viele Abbrüche und riesige Spalten hat entschieden wir uns für die Variante über den Langgletscher. Wir wollten 12 Tage vom Aletschplateau aus, was auf einer Höhe von 2700 Metern liegt, Ski und Hochtouren unternehmen. Es gibt dort oben zwar auch Berghütten aber wir wollten ja bei „Fair means“ ohne fremde Hilfe unterwegs sein. Also mussten wir alles selber mitnehmen. Unsere Ausrüstung mit Zelt, Essen und allem drum und dran wog bei der Abreise 50 Kilo pro Person. Da uns dieses Gewicht auf die Dauer etwas zu schwer erschien um es im Rucksack tragen zu können, haben wir jeder einen Schlitten bzw. Bob so mit Riemen versehen, dass wir einen Teil des Gepäcks hinter uns her ziehen konnten.

Die ersten Kilometer gingen auch noch sehr gut. Als das Gelände jedoch immer steiler wurde, merkten wir sehr bald, dass das Gewicht im Schlitten sehr stark bergab zog und wir nur sehr langsam voran kamen. Als das Gelände auch noch seitlich schräg wurde und die Schlitten immer wieder umkippten wurde der Aufstieg mit Fluchen und schimpfen begleitet.
Am Ende des ersten Tages hatten wir gerade die Hälfte des geplanten Weges geschafft und das steilste Stück lag noch vor uns.
Ein neuer Plan musste her. Wir schlugen unser Zelt erst mal auf und erholten uns. Am nächsten Morgen ließen wir das Zelt mit dem Nötigsten zurück und schleppten die Hälfte der Ausrüstung bis auf das Plateau wo wir es in eine Schneehöhle vergruben. Dann fuhren wir wieder ab in unser vorgeschobenes Basislager.

Am nächsten Tag packten wir dann den Rest der Ausrüstung ein und machten uns wieder auf den langen Weg zum Sattel. Als wir dort nachmittags ankamen und unser übriges Gepäck wieder ausgegraben hatten ging es nun zum Glück noch eine weile überwiegend leicht bergab auf das große Plateau auf dem wir unser Basislager für die nächste Zeit errichteten.
Von hier fingen wir zunächst an uns mit etwas leichteren Touren an die Höhe und das Essen zu gewöhnen. Aus Kostengründen hatten wir aus dem Outdoorladen in dem wir beide arbeiten Trekkingnahrung die wegen abgelaufenem Verfallsdatum nicht mehr verkauft werden konnte mitgenommen, was sich aber als keine besonders gute Idee rausstellte. Nicht, weil sie tatsächlich schlecht waren, aber irgendwie war nur das übrig geblieben, was nicht unbedingt dem Zertifikat Gourmet Küche entsprach. Als Hauptnahrungsmittel hatten wir auf „Bohnen Gefriergetrocknet“ gesetzt (30 Portionen). Nach der ersten Bohnenmahlzeit war uns beiden klar das die Zeit auf dem Gletscher sehr hart werden würde.
Aber wenigstens hatten wir zwei Pakete Nudeln mit Pesto dabei. Das von nun an das einzige Essen werden sollte auf das wir hingefieberten, neben dem Mittagsmahl aus gefrorenem Brot und Käse wahlweise mit scharfen Senf, Tomatenmark oder beidem. Wenn jemandem der Wert von Senf oder Tomatenmark nicht klar ist, ist das eine sehr zu empfehlende Diät: Der Senf wurde sozusagen zum Gold der Tour.

Im Laufe der nächsten Tage machten wir uns daran bei schönstem Wetter die umliegenden 4000er zu besteigen, wie z.B. den beeindruckenden Mönch und die Jungfrau. Am Ende der Zeit waren wir so gut akklimatisiert, dass wir auf das sonst in den Alpen so übliche früh aufstehen keine Lust mehr hatten und verzichten konnten. Wir waren so schnell unterwegs, dass wir auch mit Ausschlafen wieder rechtzeitig zum Nachmittag wieder im Basislager waren und den Tag mit Käsebrot und Sonnen ausklingen lassen konnten.
Die Landschaft dort oben ist einfach gigantisch. Vor allem nachmittags hört man oft von dem Kilometer weit entfernten Eisbruch mit Eistürmen so groß wie ein Mehrfamilienhaus immer wieder das Kalben des Gletschers. Sonst ist es so leise, das man Stimmen von Menschen hört, die man nur als kleinen Punkt am Horizont sieht.
Es sei denn, es ist mal wieder einer der Hubschrauber unterwegs, die im ½  Stunden Takt Menschen auf irgendwelchen Gipfeln absetzen, was der Einsamkeit doch einen kleinen Knacks verpasst.

Als dann am 10. Tag die ersten Schlechtwetterboten sich bemerkbar machten, beschlossen wir, am nächsten Tag unser Lager abzubrechen und abzusteigen. Eine gute Idee, wie sich morgens rausstellte. Der gesamte Gletscher war ein einziges weiß: Nebel und Schnee. Zum Glück hatten wir am Abend vorher unseren Weg mit dem Kompass gepeilt. Die Wolken rissen aber schon bald auf und wir konnten den Rückweg angehen.
Eine so lange Zeit nur Eis, Schnee, Fels und sonst nichts zu sehen, scheint sich auf die Psyche auszuwirken: Um das lange Gehen auf dem Gletscher angenehmer zu machen, spielen wir Eisenbahn:... „Tschtschtsch...Nächster Halt Gletscher Spalte...bitte aussteigen...Tschtschtsch.. Tschtschtsch... Tüttüüüt.

Die Gletscherabfahrt wird dann noch mal zu meiner persönlichen Herausforderung. Oben angekommen starten wir mit dem Gedanken „Juchee jetzt nur noch laufen lassen“ Was sich als fataler Irrglaube herausstellte. Der Schlitten überholte mich bei jeder Kurve die ich fuhr und zieht mich wild durch die Gegend. Alle Versuche ihn zu bändigen scheitern. Nur nicht ausrasten! Der Gletscher hatte durch die viele Sonne viel mehr Spalten als beim Aufstieg. Ein mal unterschätzte ich eine Spalte, die sich durch den gesamten Gletscher zieht, beim drüberspringen. Ich bleibe mit einer Skispitze am Spaltenrand hängen. Doch das andere Bein ist drüber. Den Schlitten ziehe ich wieder aus der Spalte und fahre auf einem Bein wie ein sterbender Schwan, nach dem Gleichgewicht ringend, bis ich zum Stehen komme.
So, jetzt aber zusammenreißen, nicht das noch etwas passiert. Am späten Nachmittag kommen wir im Tal an. Die Augen fallen uns fast aus, vor lauter leuchtendem Grün. Ach ja, es ist ja Ostern! Wir schleppen unsere Sachen zum Bus und fahren mit viele Erlebnisse und Erfahrungen reicher nach Hause.